Jahrzehntelang wurden in Berlin minderjährige Jungen gezielt an pädophile Pflegeväter vermittelt, die teils wegen Sexualdelikten vorbestraft waren – ein perverses Experiment des Pädagogik-Professors Helmut Kentler. Doch das Pädo-Netz war nicht auf die Hauptstadt beschränkt. Es gibt eine direkte Verbindung zur Odenwaldschule, wo bis zu 1.000 Schülerinnen und Schüler über viele Jahre systematisch missbraucht wurden. Das Thema „Kinderschänder: Die Netzwerke der Eliten“ behandeln wir ausführlich in der Juli-Ausgabe von COMPACT. Jetzt HIER zu bestellen.
Der Fall macht einen fassungslos: Zwischen 1973 und 2003 gaben die Berliner Jugendämter sozial auffällige Jugendliche systematisch in die Obhut von pädophilen Pflegevätern. Das Netz des staatlich geförderten Missbrauchs reichte laut einer aktuellen Studie der Universität Heidelberg bis tief in verschiedene Behörden und Einrichtungen, auch außerhalb von Berlin. Genannt werden unter anderem das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, die Freie Universität und das Pädagogische Seminar Göttingen.
Im Zentrum der üblen Machenschaften stand der Pädagoge und Sexualwissenschaftler Helmut Kentler, der von 1966 bis 1974 Abteilungsleiter am Pädagogischen Zentrum Berlin war – einer nachgeordneten Dienststelle der Senatsbildungsverwaltung. Kentler propagierte offen den Sex zwischen Erwachsenen und Jugendlichen, er bekam unter dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt, dem späteren Bundeskanzler, die Stelle am Knotenpunkt des Kinderschänder-Netzwerks. COMPACT berichtete HIER über den Fall.
Besonders erschreckend ist, dass es auch eine direkte Verbindung zwischen dem Pädagogischen Zentrum und der Odenwaldschule im hessischen Ober-Hambach gab. Dort gab es unter dem Schulleiter Gerold Becker jahrzehntelangen Missbrauch an Schülerinnen und Schülern in ungeheuerlichem Ausmaß (siehe Bericht ganz unten). Unter der Überschrift „Odenwaldschule Teil eines Netzwerks? Missbrauchsskandal erschüttert die Pädagogik“ berichtete nun die fachjournalistische Nachrichtenseite News4teachers – Das Bildungsmagazin über den Zusammenhang zwischen Kentlers Pädo-Netzwerk in West-Berlin und der berüchtigten Reformpädagogik-Schule in Hessen. Dort heißt es:
Die gezielte Vermittlung von Kindern und Jugendlichen zur Pflege bei Pädophilen ab Ende der 1960er Jahre hat offenbar eine deutlich größere Dimension als bisher bekannt. Neben zwei schon länger bekannten Fällen in Berlin habe sich auch ein Betroffener gemeldet, der in einer von Berlin geführten Pflegestelle in Westdeutschland untergebracht war, berichteten Wissenschaftler der Universität Hildesheim in Berlin. Es gebe die begründete Annahme für weitere solche Pflegestellen oder Wohngemeinschaften in Westdeutschland, damals initiiert durch Berliner Behörden. Dahinter habe ein Netzwerk gestanden. Betroffene berichteten laut den Wissenschaftlern etwa von Grenzüberschreitungen, Gewalt und Missbrauchserfahrungen.
Und weiter:
Der damals hoch angesehene Kentler wird als einer der Hauptakteure des Netzwerks beschrieben, das laut Bericht quer durch die wissenschaftlichen pädagogischen Einrichtungen insbesondere der 1960er und 1970er und die Senatsverwaltung bis hinein in Bezirksjugendämter ging. Explizit genannt werden das Pädagogische Zentrum Berlin, das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, die Freie Universität und das Pädagogische Seminar Göttingen. Außerdem lassen sich Verbindungen nachweisen zwischen dem Pädagogischen Zentrum und der Odenwaldschule in Hessen, die nach Bekanntwerden des dortigen Missbrauchsskandals schließen musste. Übergriffe seien nicht nur geduldet, sondern gerechtfertigt worden. Dabei habe es durchaus auch gegenteilige Positionen gegeben. Kentler habe maßgeblich Einfluss auf Entscheidungen Verantwortlicher ausgeübt. Die Verantwortung für Kentlers Aktivitäten liegen laut Schröder beim Berliner Senat als dessen Dienstherr.
Die Verstrickung von organisiertem Kindesmissbrauch und den politischen Eliten ist leider kein Einzelfall, sondern kommt häufig vor – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern europa-, ja, sogar weltweit. Welches perverse System dahintersteckt und welche monströsen Ausmaße es angenommen hat, dokumentieren wir akribisch in der Juli-Ausgabe von COMPACT mit dem Titelthema„Kinderschänder: Die Netzwerke der Eliten“ – erstmals in einem Print-Magazin. Dort finden Sie folgende Einzelbeiträge:
Kinderschänder: Netzwerke der Eliten _ von Daniell Pföhringer
Entführung, Schändung, Mord: Es sind monströse Verbrechen, denen Kinder immer wieder zum Opfer fallen. Alles nur Einzelfälle – oder steckt dahinter ein perverses System? Ein tieferer Blick auf die Strukturen offenbart Erschreckendes. – Tatort Wewelsburg – Dutroux und Sachsensumpf –Adrenochrom: Was ist dran? – Lügde, Bergisch Gladbach, Münster – Opferritual im Bohemian Grove – Podestas Pizzas – Out of Shadows.
Maddie und die Monster _ von Jürgen Elsässer
Es ist der wohl spektakulärste Kriminalfall des 21. Jahrhunderts: 13 Jahre liegt das Verschwinden von Madeleine McCann schon zurück – jetzt wurde ein deutscher Tatverdächtiger präsentiert. Doch die Beweislage ist dünn – weitaus mehr Indizien führen in eine andere Richtung. – Ein Psychopath taucht auf – Bluthunde und Geheimdienste – Podesta und das verräterische Phantombild.
Geheimakte Clinton _ von Oliver Janich
Der Missbrauchszirkel von Jeffrey Epstein, die Sexsklaverei der Psychosekte NXIVM, das sogenannte Pizzagate – bei allen diesen Skandalen gibt es Verbindungen zum Ehepaar Clinton. Doch die Massenmedien und auch Google unterdrücken die Berichte. – Das große Löschen – Kinder auf Bestellung – „Filthy Rich“.
«Es gibt keine Einzeltäter» _ Meike Büttner im Gespräch mit Daniell Pföhringer
Meike Büttner arbeitete viele Jahre im etablierten Medienbetrieb und war «ultralinks», wie sie selbst sagt. In einem Youtube-Video hat sie nun ein dunkles Geheimnis gelüftet – und will damit den Scheinwerfer auf Täter richten, die im Verborgenen agieren. – „Das Netzwerk ist größer, als man es sich vorstellt.“ – „Ich war als Kind mehrere Male auf der Wewelsburg.“
Sichern Sie sich diese brisanten Informationen möglichst schnell. Es steht zu befürchten, dass die Hintermänner der Netzwerke versuchen werden, diese Info-Offensive mit allen Mitteln zu verhindern. COMPACT 7/2020 ist erst am kommenden Samstag, 27. Juni, am Kiosk. Aber wir verschicken die Ausgabe jetzt schon ab Verlag. Hier geht’s zur Bestellung und zu weiteren Infos über den Heftinhalt.
Lesen Sie nachfolgend unseren Beitrag über den Missbrauch an der Odenwaldschule, der in COMPACT 3/2019 erschien.
«Ort der pädagogischen Verwahrlosung»: Die Odenwaldschule als Sexlabor
Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Lernen ohne Druck, Erziehung ohne Zwang – von wegen. Die Odenwaldschule wurde zur Hölle für bis zu 1.000 Kinder. Die Dimension der Schweinerei ist größer als bislang angenommen.
_ von Manja May
Stellt man die Aktenordner hintereinander, sind es 450 Meter, die der Rostocker Pädagogikprofessor Jens Brachmann und der Münchner Soziologe Florian Straus für zwei neue Studien zum sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule ausgewertet haben; dazu rund 50.000 Bilder, Audio- und Videokassetten sowie eigene Interviews mit ehemaligen Schülern und Lehrern. Straus‘ Untersuchung Die Odenwaldschule als Leuchtturm der Reformpädagogik und als Ort sexualisierter Gewalt kam im Januar auf den Markt, Brachmanns Buch Tatort Odenwaldschule erscheint im Mai.
Was die beiden Wissenschaftler herausgefunden haben, ist entsetzlich: Demnach gab es seit den 1960er Jahren an der Bildungseinrichtung in Ober-Hambach, einem Stadtteil von Heppenheim, nicht, wie man bisher annahm, 132 Opfer, sondern eine mittlere bis hohe dreistellige Zahl, möglicherweise sogar 1.000. Anhand der Akten ließen sich «Rückschlüsse auf weit mehr als zwei Dutzend Täter allein unter den pädagogischen und technischen Mitarbeitern der Odenwaldschule» ziehen, ist in einem Vorabdruck von Brachmanns Studie zu lesen. Die meisten waren in den 1960er bis 1980er Jahren an der vermeintlichen Eliteanstalt beschäftigt, die Übergriffe dauerten bis in die 1990er Jahre an. Der Rostocker Pädagoge weist zudem darauf hin, dass ein Lehrer, der noch von 2011 bis 2014 an der Schule beschäftigt war, wegen Besitzes von kinderpornografischem Material verurteilt wurde.
Straus beschreibt die einst als Vorzeigeinstitution geltende Internatsschule in Südhessen, die 2015 geschlossen wurde, als «Ort der pädagogischen Verwahrlosung» mit oftmals nur unzureichend ausgebildetem Lehrpersonal und sogenannten Familienhäuptern, die die Wohneinheiten unter ihren Fittichen hatten. Die Mitarbeiter wurden unter anderem aus der Wandervogel- und Pfadfinderbewegung rekrutiert. Doch nicht nur die Zahl der Opfer, sondern auch die der Täter, die voneinander wussten und sich gegenseitig deckten, ist größer als bislang bekannt. «Mehr als zwei Dutzend» sollen es laut Brachmann gewesen sein, darunter auch fünf Frauen. Mindestens zwei der Täter leben bis heute unbehelligt von den Strafverfolgungsbehörden.
Antisemitischer Vordenker
Im Zentrum des Missbrauchsskandals steht Gerold Becker, geboren 1936 in Stettin, verstorben 2010 in Berlin, der – ohne eine Lehramtsausbildung absolviert zu haben – zunächst an der Odenwaldschule unterrichtete und diese von 1972 bis 1985 leitete. Brachmann spricht in seiner Studie von einem «System Becker», das erst «durch den Flankenschutz der Kulturelite der alten Bundesrepublik» möglich gewesen sei. Tatsächlich galt der pädagogische Ansatz des studierten Theologen der linksliberalen Schickeria im größtenteils SPD-regierten Hessen als besonders schick und progressiv. Zu Beginn eines jeden Schuljahrs begrüßte Becker seine neuen Schützlinge mit den Worten: «Ihr seid jetzt auf der Odenwaldschule. Hier ist alles erlaubt.» Wie weit der Direktor diese Worte auslegte, konnte niemand ahnen.
Nach heutigen Kriterien hätte den Achtundsechzigern, die Becker damals hofierten, allerdings die Grundlage, auf der sein Konzept fußte, zumindest anrüchig erscheinen müssen. Der Schulleiter orientierte sich an der Reformpädagogik des Theologen und Philosophen Hermann Lietz (1868–1919), einem glühenden Monarchisten und Nationalisten, der außerdem ein rabiater Antisemit war, der jüdischen Kindern den Zugang zu seinen Landschulheimen verwehrte. «Was Lietz pädagogisch erstrebte, hat Hitler politisch durchgesetzt», sagte Alfred Andreesen, von 1919 bis 1944 Oberleiter der Hermann-Lietz-Heime, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Tatsächlich gehörte die stramme Nazi-Pädagogin und zeitweilige Gausachbearbeiterin für rassenpolitische Fragen der NS-Frauenschaft in München, Johanna Haarer, zu Lietzens Schülerinnen.
Auf der anderen Seite lehnte Lietz den im Kaiserreich praktizierten Drillunterricht ab und wollte die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler fördern. Diese sollten in einer natürlichen und gesunden Umgebung – daher die Landschulheime – ihre Talente entwickeln und sich nach ihren jeweiligen Fähigkeiten fortbilden. Soziale Unterschiede sollten keine Rolle mehr spielen beziehungsweise in der Gemeinschaft ausgeglichen werden: Jedes Kind sollte, unabhängig von der Situation im Elternhaus, eine sittliche Charakterbildung erfahren. Kritiker bezweifeln, dass Lietz und seine stark von der Jugendbewegung geprägte Pädagogik den selbst gesteckten Zielen immer gerecht wurden.
Becker und andere Epigonen des Reformpädagogen der Kaiserzeit blendeten die eine Seite von Lietz’ vielschichtiger Persönlichkeit aus, um die andere besonders stark zu betonen, wenn nicht gar zu überzeichnen. Das passte genau ins Laisser-faire-Konzept linker Bildungs- und Kulturpolitik. Eine tragende Rolle spielte dabei der Göttinger Erziehungswissenschaftler Hartmut von Hentig, an dessen Institut Becker zeitweise tätig war und mit dem der spätere Haupttäter der Odenwaldschule sogar eine homosexuelle Beziehung geführt haben soll.
Opfer der APO-Opas
Schuf die Libertinage-Propaganda der politischen und gesellschaftlichen Eliten den Nährboden für den hunderte- oder gar tausendfachen Missbrauch in Ober-Hambach? Zu genau diesem Schluss kommt Brachmann, wenn er schreibt: «Die Odenwaldschule wurde insbesondere unter Gerold Becker ein Ort diskursiver Verknüpfungen von antiken Bildungsideologien und vermeintlich progressiven Erziehungsdiskursen im weltanschaulichen Umfeld der sogenannten 68er-Bewegung. Pädophile Handlungen wurden hierdurch ethisch und pädagogisch legitimiert.»
«Entstehen konnte das ”System Becker” (…) durch den Flankenschutz der Kulturelite der alten Bundesrepublik.» Jens Brachmann
Er ist überzeugt: «Pädophile Deutungsmuster und Handlungsorientierungen wurden insbesondere durch die Paradoxien der sexuellen Revolution befördert. Insbesondere auf sexualpädagogischer und sexualstrafrechtlicher Ebene wurden diese Diskussionen maßgeblich beeinflusst von überzogenen Forderungen zur vermeintlichen Notwendigkeit der sexuellen Selbstbestimmung von Kindern.» Auch die Opfer der Odenwaldschule gehen also letztlich auf das Konto der APO-Opas.
_ Unsere Autorin mit dem Pseudonym Manja May (*1990) ist Diplom-Sozialpädagogin und arbeitet für einen freien Träger in der Jugendhilfe. Sie schloss ihr Studium mit einer Arbeit über den Missbrauch an der Odenwaldschule ab.