Donald Trump wirft seiner Kontrahentin vor, eine Linksradikale zu sein, die die USA in den Abgrund führen würde. Wie recht er damit hat, zeigt ein Porträt der heutigen Vizepräsidentin, das wir Ende 2020 in COMPACT-Magazin veröffentlicht haben und nachfolgend noch einmal dokumentieren. Mehr über den Kampf um Amerika und seine Bedeutung für uns lesen Sie in COMPACT-Spezial «Trump: Sein Leben, seine Politik, sein großes Comeback»

    Ein Sieg über die Deutschen war der Durchbruch für Frau Harris. Als kalifornische Generalstaatsanwältin trat sie an einem Junitag des Jahres 2016 in das Blitzlichtgewitter der Kameras. Mit bebender Stimme verkündete die vor Selbstbewusstsein strotzende Frau, soeben einen «Meilenstein» bei der Vertretung der Interessen ihres Bundesstaats gesetzt zu haben.

    Es handele sich um den größten Vergleich, auf den man sich je mit einem Autohersteller geeinigt habe. Ihre Mitarbeiter hätten seit einiger Zeit «Tag und Nacht» durchgearbeitet, um zu erreichen, dass VW nochmals 86 Millionen US-Dollar an Strafzahlungen an den «Golden State» drauflege.

    Das Recht als Waffe

    Das war das Sahnehäubchen auf die ohnehin schon ausgehandelte, gigantische Schadensersatzsumme von 14,7 Milliarden US-Dollar, die der Wolfsburger Konzern in die USA überweisen musste, wovon wiederum 1,2 Milliarden Dollar direkt in den Pazifikstaat fließen würden, wie die sichtlich stolze Juristin verkündete.

    Wer diese Vorstellung von Kamala Harris, die irgendwo zwischen Late-Night-Show, Einführung in das US-Recht und fettem Eigenlob angesiedelt war, gesehen hatte, dem war klar, dass diese Frau ganz nach oben wollte. Mit ihrem erfolgreichen Kreuzzug gegen den deutschen Autobauer hatte sie bewiesen, dass sie die schwarze Kunst des «Lawfare» – eine Kombination der Begriffe «law» (Gesetz) und «warfare» (Kriegsführung) – beherrscht: die Fortsetzung einer erbarmungslosen Politik mit der Waffe eines instrumentalisierten Rechts.

    Opas Liebling: Die politische Halbwertzeit der Vize liegt wesentlich höher als beim amtierenden US-Präsidenten. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

    Beruflicher Ehrgeiz war der späteren Top-Beamtin schon in die Wiege gelegt worden, denn die Familie des Zuwandererkindes entsprach überhaupt nicht den Klischees, die sonst über farbige Milieus der USA im Umlauf sind. Ihre Mutter Shyamala Gopalan kam als indische Doktorandin ins Land, die sich der Erforschung von Brustkrebs widmete, ihr Vater Donald J. Harris war ein ursprünglich aus Jamaika zugewanderter Wirtschaftsprofessor der Eliteuniversität Stanford.

    Als Kamala am 20. Oktober 1964 in Oakland, der Zwillingsmetropole von San Francisco, zur Welt kam, waren ihre Eltern schon in der Bürgerrechtsbewegung aktiv. Die Universitätsstadt Berkeley, wo das kleine Mädchen in einer hochgradig politisierten Umgebung zwischen Parolen, Flugblättern und Plakaten aufwuchs, war damals die Hochburg der US-Linken wie auch die Keimzelle der Hippie-Kultur.

    Eine ihrer frühesten Erinnerungen bezieht sich auf eine Demo, die sie aus dem Kinderbuggy heraus erlebte. In ihrer Autobiografie The Truths We Hold: An American Journey schreibt sie: «Ich erinnere mich an ein Meer von Beinen, die sich bewegten, an die Energie, die Rufe und Gesänge.»

    Dieses revolutionäre Umfeld ist die eine Seite, die ihre Persönlichkeit formt, die andere ihre durch und durch großbürgerliche Erziehung. Auch nach der Scheidung ihrer Eltern 1971 und dem Umzug in das kanadische Montreal achtet ihre Mutter darauf, dass die Tochter die Klavierstunden bei einer strengen Pianistin nicht verpasst und das sogenannte Demi Plié, also die halbe Kniebeuge, im Ballettunterricht lernt. Ihren Highschool-Abschluss macht sie noch im Ahornstaat, bevor sie in den 1980er Jahren erst Politik und Ökonomie in der US-Hauptstadt Washington und danach Jura in San Francisco studiert.

    Kamala und der Sugar Daddy

    Nach ihrer Anwaltszulassung 1990 geht sie in den Staatsdienst und ist erst in ihrer Geburtsstadt tätig. Zum Turbobeschleuniger ihrer Karriere wird eine Affäre, die sie mit Willie Brown, dem 31 Jahre älteren und verheirateten Präsidenten des kalifornischen Parlaments, beginnt. Dieser ist damals schon eine Ikone innerhalb der schwarzen Politik-Community der USA, und er festigt diesen Ruf noch, als es ihm 1996 gelingt, der erste farbige Bürgermeister San Franciscos zu werden.

    Sein beruflicher Erfolg ist gleichzeitig auch der seiner jungen Freundin, die von ihrem Sugar Daddy auf höchst lukrative Posten in der Beschwerdekammer für Arbeitslosenunterstützung und dann in der Medizinischen Hilfskommission gehievt wird, was ihr ein Zusatzeinkommen von 80.000 Dollar im Jahr einbringt. Für Modemagazine lässt sie sich damals mit Chanel-Handtaschen und Manolo-Blahnik-Schuhen ablichten – eine Frau, die sich einfach nimmt, was sie will und jeden Karrierewiderstand unter maximalem Einsatz ihrer Ellenbogen zur Seite räumt.

    Links-Latina: Die für ihre radikalen Ansichten bekannte Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (im Vordergrund) gilt als Nachwuchshoffnung der Demokraten. Hinter ihr mit Kopftuch: Ilhan Omar, die erste Muslima im Kongress. Foto: picture alliance / newscom

    2003 bewirbt sie sich in einer Kampfkandidatur um die Leitung der Bezirksstaatsanwaltschaft. Als Amtsinhaber Terence Hallinan die doch auf recht fragwürdige Weise zustande gekommene privilegierte Stellung seiner Kontrahentin als Protegé des Bürgermeisters anspricht, schlägt sie knallhart zurück und droht ihrem Gegenüber mit Korruptionsermittlungen. Als «skrupellos» bezeichnet sie im Rückblick der frühere Vorsitzende der örtlichen Polizeigewerkschaft.

    Sieben Jahre später hatte sie sich dann endlich auch auf den Posten des Chef-Anklägers ihres Bundesstaates durchgeboxt. Wie ihre Bilanz in diesem Amt ausfällt, ist bis heute umstritten. Joe Biden lobte, dass sie vor knapp zehn Jahren hervorragend mit seinem mittlerweile verstorbenen Sohn Beau, damals Generalstaatsanwalt von Delaware, bei der juristischen Bewältigung der Finanzkrise zusammengearbeitet und «arbeitenden Menschen geholfen» habe. Die Los Angeles Times bezeichnete dagegen den von ihr ausgehandelten Bankenvergleich als «billigen Theatercoup». Fakt ist, dass sie damals nicht besonders neutral, sondern ziemlich selektiv vorzugehen schien.

    So klagte sie 2013 Steven Mnuchin nicht an, obwohl es in der von ihm geleiteten Bank Onewest zahlreiche Unregelmäßigkeiten gegeben hatte. Drei Jahre später revanchierte sich der heutige republikanische US-Finanzminister für dieses ungewöhnlich nachsichtige Verhalten, indem er für den Wahlkampf von Harris spendete, der sie zur Senatorin von Kalifornien machte.

    Zehn Billionen gegen Kuhfürze

    Richard – genannt Dick – Cheney. Foto: swiss-image.ch

    Nun werde man kämpfen müssen für «grundlegende amerikanische Werte», ließ sie ihre Anhänger damals wissen. Doch die gerissene Harris hatte da vor allem schon etwas anderes realisiert: Dass sie sich als Linksradikale würde neu erfinden müssen, um in ihrer eigenen, immer mehr zum Extrem tendierenden Partei künftig noch eine Rolle spielen zu können.

    Bei den von dem Netzportal Govtrack erstellten umfangreichen Analysen zum Abstimmungsverhalten der US-Kongressabgeordneten liegt sie seit Jahren ganz vorn in der Rangliste der am weitesten links stehenden Parlamentarier. 2019 belegte sie hier – vor dem bekennenden Sozialisten Bernie Sanders aus Vermont – sogar den ersten Platz.

    Sie fürchtet offenbar nichts so sehr wie den ihr gegenüber in der Vergangenheit schon einige Male erhobenen Vorwurf, zu «zentristisch» zu sein, was sie in ihrer pazifischen Heimatregion, die nicht umsonst als «left coast» gilt, Kopf und Kragen kosten könnte.

    Wohl auch deshalb hat sie sich vorbehaltlos den wirtschaftspolitisch völlig absurden Plan eines Green New Deal ihrer Parteikollegin Alexandria Ocasio-Cortez zu eigen gemacht, der bis 2030 eine radikale Absenkung der CO2-Emissionen vorsieht, wobei auch klimaschädliche «Kuhfürze» vermieden werden sollen. Dieses ohnehin völlig irreale Konzept überbot sie nochmals mit der Forderung, dafür direkt zehn Billionen Dollar in die Hand zu nehmen, was der Hälfte der jährlichen US-Wirtschaftsleistung entspricht.

    Viele Personen, die sie näher kennen, haben dennoch den Eindruck, dass in ihrem Wertekosmos die robuste Vertretung der eigenen Interessen dominiert – und wenn es dafür nötig sein sollte, dem Zeitgeist hinterherzuhecheln, dann macht sie das eben. Sehr häufig wird sie wegen ihrer rabiaten Karriereorientierung als der «Klon» oder das «U-Boot» Hillary Clintons bezeichnet, was böse klingt, aber einen wahren Kern haben könnte.

    Ihre Schwester Maya leitete jedenfalls 2016 als eine von drei Beraterinnen die Ausarbeitung der Regierungsagenda der damaligen demokratischen Präsidentschaftskandidatin. Kamala wiederum gab ihre eigenen Ambitionen auf das höchste Staatsamt im vergangenen Jahr relativ schnell auf, weil sie zu wenige Spendengelder für ihre Kampagne einwerben konnte.

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