Die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten haben das Potenzial, zu einer globalen Konfrontation zu verschmelzen. Auch im chinesischen Meer brennt die Zündschnur. Eine Analyse aus russischer Sicht bietet unsere neue Edition «Wladimir Putin: Geschichte Russlands». Von den Anfängen bis zu Stalin und Selenski. Hier mehr erfahren

    _ von Thomas Röper

    Dass ich seit Februar 2022, also seit der Eskalation in der Ukraine und den ersten Sanktionspaketen des Westens, der Meinung bin, dies sei bereits der Dritte Weltkrieg, ist nicht neu. Das Einzige, was noch fehlt, ist die direkte Konfrontation zwischen der NATO und Russland, weil keine der beiden Seiten einen Atomkrieg will. Aber der US-geführte Westen kämpft jetzt schon mit allen wirtschaftlichen, diplomatischen, propagandistischen und militärischen Mitteln – außer dem offiziell zugegebenen Einsatz eigener Soldaten. Es ist ein Krieg, der mit einem Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine nicht vorbei sein wird.

    «Die Ära der westlichen Dominanz ist tatsächlich endgültig zu Ende.» Josep Borrell

    Formell hängt dieser Konflikt mit jenem in Gaza zwar nicht zusammen, aber die Frontlinien gleichen sich immer mehr an. Sie haben das Potenzial zu verschmelzen, wie es beispielsweise auch im Zweiten Weltkrieg der Fall war, als ab Ende 1941 – mit der Kriegserklärung der USA an Japan in Folge des Überfalls auf Pearl Harbor – die Konfrontationen in Europa und Asien zu einem einzigen großen Weltkrieg verschmolzen sind.

    Westblock:

    Vereinigtes Königreich, USA, Belgien, Kanada, Dänemark, Frankreich, Island, Luxemburg, Niederlande, Italien, Norwegen, Portugal, Griechenland, Deutschland, Spanien, Polen, Tschechien, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Albanien, Kroatien, Montenegro, Nordmazedonien, Finnland, Schweden, Israel , Südkorea , Japan, Australien, Taiwan, Moldawien, Argentinien, Chile, Ruanda, Nigeria, Kenia, Albanien, Kosovo, Armenien, Ukraine

    Russland wird mehr oder weniger offiziell von China, Nordkorea und dem Iran unterstützt. Der globale Süden würde gerne neutral bleiben, wird aber vom Westen gedrängt, sich für eine Seite zu entscheiden. Weil Moskau und Peking anderen Ländern keine Vorschriften machen, welche sogenannten Werte oder politischen und wirtschaftlichen Systeme sie haben sollen und weil beide Länder im Gegensatz zum Westen keine neokoloniale Politik verfolgen, neigt der globale Süden ihnen zu und nicht der NATO.

    Grafik: COMPACT

    Das hat übrigens sogar EU-Chefdiplomat Josep Borrell inzwischen verstanden, wie ein von ihm verfasster Artikel nach der Münchner Sicherheitskonferenz Ende Februar gezeigt hat: «Wenn sich die aktuellen globalen geopolitischen Spannungen weiterhin in Richtung ”the West against the Rest” entwickeln, besteht die Gefahr, dass die Zukunft Europas düster wird. Die Ära der westlichen Dominanz ist tatsächlich endgültig zu Ende.»

    Der Gaza-Krieg hat inzwischen etwa die gleichen Frontlinien. Der US-geführte Westen unterstützt Israel, während viele Länder des globalen Südens Israel einen Völkermord an den Palästinensern vorwerfen. Und die zynische Doppelmoral in diesem Konflikt treibt den globalen Süden weiter in die Arme Russlands und Chinas.

    Russland und Israel

    Das Verhältnis zwischen Jerusalem und Moskau schien – trotz der unterschiedlichen Interessen beispielsweise in Syrien – lange gut zu sein. Aber hinter den Kulissen dürfte es schon seit einiger Zeit anders aussehen, denn Israel stört sich an dem guten Verhältnis Russlands zum Iran, während Russland keinerlei Verständnis für die illegalen israelischen Bombardierungen seines Verbündeten Syrien hat.

    Und nach dem Beginn der russischen Operation in der Ukraine Ende Februar 2022 gab es nur noch wenige Meldungen über Kontakte zwischen Russland und Israel. Mitte Oktober 2023 wurde gemeldet, dass anscheinend offizielle israelische Soldaten in der Ukraine gekämpft haben. Wenn das stimmen sollte, dürfte das Verhältnis zwischen Putin und Netanjahu schon seit einiger Zeit eiskalt sein, auch wenn beide das nicht öffentlich gezeigt oder kommuniziert haben.

    Ostblock:

    Russland, China, Nordkorea, Iran, Brasilien, Südafrika, Ägypten, Äthiopien,Vereinigte Arabische Emirate, Syrien, Libanon, Palästina, Jordanien, Saudi-Arabien, Bahrain, Kuweit, Oman, Katar, Jemen, Irak, Serbien, Angola, Mocambique, Kuba, Venezuela, Myanmar, Indonesien, Senegal, Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad, Sudan, Tunesien, Marokko, Libyen, Algerien, Donbass

    Mit dem Beginn des Gaza-Krieges gab es einen weiteren Temperatursturz. Aus Jerusalem kamen wilde Beschimpfungen und Anfeindungen, weil die Moskauer Regierung das brutale Vorgehen Israels von Anfang an kritisierte und nachdrücklich die Zwei-Staaten-Lösung forderte. Der Kreml teilte am 21. Februar 2024 mit, er akzeptiere «Israels Logik zur Rechtfertigung der Gewalt in Gaza nicht».

    Daraufhin setzte das Netanjahu-Regime Russland mit der – in seinen Augen terroristischen – Hamas gleich, was Moskau mit gleicher Münze heimzahlte: Israel wurde mit der – in seinen Augen nazistischen – Ukraine gleichgesetzt, beide Staaten führten «einen Kampf gegen die Menschheit». Viel schlechter können die Beziehungen zwischen beiden wohl nicht mehr werden.

    Anfang März 2024 eröffnet: Die erste NATO-Luftwaffenbasis in Albanien (in Kucova, früher Stalin­stadt) soll das russlandfreundliche Serbien einschüchtern. Foto: picture alliance / REUTERS

    Die Tatsache, dass Israel nun angekündigt hat, der Ukraine zum ersten Mal militärisches Gerät zu liefern, zeigt jedenfalls, dass der Bruch sehr tief sein muss. Hinzu kommt die gute russische Zusammenarbeit mit Israels Erzfeind, dem Iran. Es halten sich sogar hartnäckig die Gerüchte, von dort würden Drohnen und Raketen für die Front geliefert.

    Außerdem haben die Huthis im Jemen Israel den Krieg erklärt und beschießen, trotz der Angriffe von NATO-Staaten, im Roten Meer Handelsschiffe, die mit Israel in Verbindung stehen oder die aus Staaten wie den USA und Großbritannien kommen und den Jemen bombardieren. Sogar teure US-Drohnen haben die Guerillakämpfer schon abgeschossen.

    Moskau hat jetzt sogar eine technische Zusammenarbeit mit den Huthis vereinbart.

    Da war es nicht überraschend, dass Russland und Jemen nun gegenseitige Besuche technischer Gruppen vereinbart haben, um die Zusammenarbeit im Bereich der Bodenschätze zu erörtern. Das gaben der jemenitische Ministerpräsident Ahmed Awad bin Mubarak und Sergej Lawrow auf einer Pressekonferenz Ende Februar bekannt. Man sieht daran, wie die in den Konflikten kämpfenden Länder zusammenrücken. Auch wenn die Schauplätze formell nichts miteinander zu tun haben, könnten sie sich so zu einem großen Konflikt entwickeln.

    Die Türkei ist formell zwar in der NATO, aber im Ukraine-Konflikt verhält sie sich neutral. Dafür ist Präsident Erdogan einer der lautesten Kritiker von Israels Vorgehen in Gaza und fordert eine Verurteilung der für die Kriegsverbrechen Verantwortlichen durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Damit steht Ankara in einem wichtigen Konflikt nicht auf der Seite des Westens. Wenn sich Erdogan für eine Seite entscheiden müsste, würde er wohl auf die russische kommen.

    Kampf um Indien

    Wenn die USA Taiwan nach dem ukrainischen Muster zu Provokationen gegen China verleiteten, könnte der Konflikt auch auf Asien übergreifen. Hinzu kommt die immer angespanntere Lage auf der koreanischen Halbinsel.

    Da Indien Chinas Rivale ist und gute Beziehungen zu Taiwan unterhält, könnte eine Eskalation im Fernen Osten das mittlerweile bevölkerungsreichste Land der Erde in die Arme des Westens treiben. Bislang versucht Neu-Delhi, seine Neutralität zu wahren. Das Verhältnis zu Moskau ist hervorragend und reicht bis zur Staatsgründung nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Man hat seither fast ausschließlich auf russische Waffen gesetzt, wurde aber von den USA inzwischen überredet, das Arsenal zu diversifizieren. Aber einen Bruch mit Putin will Premier Modi nicht.

    Trotzdem könnte es, wenn die Konflikte eskalieren und sogar auf Asien übergreifen sollten, soweit kommen, dass Indien sich für eine Seite entscheiden muss. Die Frage ist, welche das sein wird.

    Haupt- und Nebenfragen

    «Ähnlich wie in Die Schlafwandler von Christopher Clark {über die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs} scheint uns nicht bewusst zu sein, welche verheerenden Konsequenzen die aktuellen Kriege – insbesondere der in Gaza – haben können. Während in Deutschland Woche für Woche Debatten über Integration, Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus geführt werden, warnen geopolitische Experten seit Tagen vor einem potenziellen Dritten Weltkrieg. Bricht ein Dritter Weltkrieg aus, gibt es keinen Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus. Wenn kaum noch Menschen existieren, gibt es auch niemanden mehr zu integrieren. Ein Dritter Weltkrieg würde alles in den Schatten stellen, und deshalb müssen wir über diese zunehmende Gefahr sprechen.»

    (Scharjil Khalid in Berliner Zeitung, 13.2.2024)

    Man könnte dazu noch viel mehr schreiben… Jedenfalls müsste jedem klar geworden sein, dass wir erst ganz am Anfang des Dritten Weltkrieges stehen. Selbst im besten Fall müssen wir mit unruhigen Zeiten und überraschenden Wendungen rechnen.

    _ Thomas Röper lebt seit fast 30 Jahren in St. Petersburg, hat mehrere Bücher zum Thema NATO/Russland/Ukraine verfasst und betreibt das Portal «Anti-Spiegel».

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