Wieder einmal: Scholz bricht sein Wort

Die nächste rote Linie ist gefallen: Sowohl Deutschland als auch die USA erlauben es der Ukraine, mit Waffen aus diesen beiden Ländern russisches Territorium zu beschießen. Scholz ist damit wortbrüchig geworden.

Bislang hatte Bundeskanzler Olaf Scholz diesen entscheidenden Schritt zur weiteren Ausuferung des Ukrainekrieges abgelehnt, hatte den Einsatz von an Kiew gelieferte Waffen sogar als Eskalation bezeichnet, die verhindert werden müsse. Schnee von gestern! Auch US-Präsident Joe Biden ist eingeknickt. Quasi zeitgleich gingen die Erklärungen zu den jeweiligen Änderungen des bisherigen Kurses an die Weltpresse.

Beschränkung fällt

Damit fällt nun die der Ukraine bisher auferlegte Beschränkung, US-Waffen nicht gegen das „traditionell“ russische Hoheitsgebiet einzusetzen. Schon in den vergangenen Tagen hatte US-Außenminister Antony Blinken bei einem Treffen mit seinen NATO-Amtskollegen in Prag entsprechende Andeutungen verbreitet. Beispielsweise faselte er, dass es ein wichtiges Kennzeichen der US-amerikanischen Unterstützung für die Ukraine sei,

„sich anzupassen, wenn die Bedingungen sich verändern, wenn das Schlachtfeld sich ändert, wenn Russland sein Handeln verändert, und ich bin zuversichtlich, dass wir das auch wieder tun werden“.

Die einzige Veränderung der Bedingungen bestand zuletzt darin, dass die ukrainischen Streitkräfte immer weiter unterlegen waren und der russische Vormarsch in der Region Charkow voranschreiten konnte. Es geht also letztlich darum, den „Einsatz zu erhöhen“, um eine jetzige Niederlage Kiews abzuwenden. Scholz hatte bei diesen Gedankenspielen ganz offensichtlich nicht viel zu melden.

Es war zudem auffällig, dass beim Staatsbesuch von Emmanuel Macron in dieser Woche kein Widerspruch der Bundesregierung zu dessen aggressiven Tönen zu vernehmen war. Der französische Staatspräsident hatte sich ziemlich eindeutig für den Einsatz westlicher Waffen auf russischem Territorium ausgesprochen. Beispielsweise sagte er, dass er „nicht glaube“, dass Angriffe auf Ziele im russischen Hinterland „zu einer Eskalation“ beitragen würden.

Rote Linien, rosa Linien, keine Linien…

Polen hatte der Ukraine bereits ausdrücklich zugesichert, dass „es keine derartigen Beschränkungen für die an die Ukraine gelieferten polnischen Waffen gibt“. Das bestätigte zuletzt auch Cezary Tomczyk, Staatssekretär im polnischen Verteidigungsministerium, gegenüber Pressevertretern. Für einen Scholz-Widerspruch war auch hier kein Platz. Der Spiegel hatte bereits frohlockt, dass die „roten Linien“ des Bundeskanzlers nun zu „rosa Linien“ werden könnten.

Tatsächlich hatte Scholz am Rande des Macron-Besuches schon angedeutet: „Die Ukraine hat alle Möglichkeiten für das, was sie tut.“ Sein Pressesprecher Hebestreit war noch weiter gegangen. Seine Worte lauteten folgendermaßen:

„Das Völkerrecht weist der Ukraine das Recht zu, sich zu verteidigen, und diese Verteidigung beschränkt sich nicht auf das ukrainische Staatsgebiet.“

Damit war politischen Beobachtern schon klar, wohin die Reise gehen würde, zumal auch der innerparteiliche Druck auf den Kanzler zuletzt angestiegen war. SPD-Scharfmacher Michael Roth, der sich seit Jahren als außenpolitischer Sprecher der Sozialdemokratie ausgibt, vertrat den Standpunkt, „Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, zu folgen, der einen solchen Vorschlag ja unterbreitet hat.“ Stoltenberg hatte am vergangenen Wochenende die NATO-Staaten aufgefordert, Kiew den Einsatz weitreichender westlicher Waffen gegen russisches Territorium zu gestatten. NATO befiehl, wir folgen!