Nach zwei Jahrhunderten des inneren Friedens müssen sich die Sudetendeutschen ab 1848 einem Volkstumskampf stellen. Im Paulskirchenparlament zeigen sich die neuen Bruchlinien.  Hier lesen Sie den dritten Teil einer Serie zur sudetendeutschen Geschichte. Den ersten und zweiten Teil können Sie hier und hier lesen. Die Vertreibung von über 14 Millionen Deutschen aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien und dem Sudetenland zählt zu den größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts. In der BRD-Erinnerungskultur findet ihr Leid keine angemessene Würdigung. Darum wollen wir an ihr Schicksal erinnern. Hier mehr erfahren.

    Nach dem Dreißigjährigen Krieg bricht für knapp zwei Jahrhunderte eine weitgehend friedliche Koexistenz zwischen Deutschen und Tschechen an. Eine besondere Lichtgestalt ist Kaiser Joseph II., der teilweise als Mitregent seiner Mutter Maria Theresia zahlreiche Reformen durchführt. Dazu zählen beispielsweise die Einführung der allgemeinen Schulpflicht (1774) sowie die Aufhebung der Leibeigenschaft (1781) und das Toleranzpatent (1781), mit dem den Protestanten und Orthodoxen im Habsburgerreich Glaubensfreiheit zugesichert wird.

    Zeitenwende 1848

    Davon profitiert beispielsweise der aus einer bitterarmen Familie stammende Kleinbauernsohn Gregor Mendel. Er führt in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Klostergarten zu Brünn zahlreiche Kreuzungsversuchen an Erbsenpflanzen durch, entdeckt dabei die grundlegenden Gesetze der Genetik und vollbringt damit die größte naturwissenschaftliche Leistung des 19. Jahrhunderts neben der Formulierung der Evolutionstheorie durch Charles Darwin.

    Tschechische Historiker behaupten später, dass es in der josephinischen Ära zu einer „Germanisierung“ Böhmens gekommen sein soll. Doch diese Aussage ist falsch, das Tschechische verliert ausschließlich sein Monopol als Sprache des Landtags. Tschechische Historiker und Linguisten beschäftigen sich zu dieser Zeit allerdings schon weit intensiver mit der Sprache und Geschichte Böhmens, während diese Anstrengungen auf deutschböhmischer Seite kein Pendant finden.

    Das erste deutsche Parlament: Die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche im Mai 1848. Zeitgenössischer Holzschnitt, koloriert. Foto: CC0, Wikimedia Commons

    Im Revolutionsjahr 1848 bricht dann der germano-tschechische Antagonismus mit voller Wucht auf. Wahrend zwei Dutzend sudetendeutsche Abgeordnete ihre Heimatkreise im ersten deutschen Parlament in der Frankfurter Paulskirche vertreten, entsenden die tschechisch dominierten Wahlkreise Böhmens keine Abgeordneten. Nur einige wenige tschechische Abgeordnete aus Mähren nehmen an den Tagungen in Frankfurt teil. Im Juni 1848 wird beim Prager Slawenkongress die ungeheuerliche Forderung erhoben, dass „alle Millionen Deutsche östlich der Isthmuslinie Trient – Stettin vertrieben werden sollten.“

    Verlierer der kleindeutschen Lösung

    Im Deutschen Krieg von 1866 erleidet Österreich eine verheerende Niederlage gegen Preußen. Die innerdeutsche Machtfrage ist damit endgültig entschieden. 1870/71 löst Otto von Bismarck mit der Gründung des Zweiten Reichs  dann die deutsche Frage – allerdings unter Ausschluss der in Österreich lebenden Landsleute.

    Selbstverständlich wird der Eiserne Kanzler auch in den deutschböhmischen Gebieten – wie damals in allen deutschsprachigen Ländern und auch den deutschen Kolonien – geliebt und mit zahlreichen Denkmälern geehrt. Die Sudetendeutschen geraten mit der Realisierung der kleindeutschen Lösung aber in eine gleichermaßen exponierte wie hochgefährliche geopolitische Situation. Anders als die Deutschösterreicher im Donaubecken und in den Alpen leben sie nicht geballt zusammen, sondern siedeln seit dem Hochmittelalter in einem engen Gebietsstreifen, der sich über die gesamten Randgebiete Böhmens und Mährens erstreckt.

    Der Mährische Ausgleich

    Etwa zur Zeit der Reichsgründung wird Prag erstmals zu einer mehrheitlich tschechischen Stadt. Das Unheil wirft seine Schatten voraus. Es gibt noch hoffnungsvolle Versuche, dieses Unheil zu verhindern. Nach neunjährigen Verhandlungen gelingt Deutschen und Tschechen in Mähren 1905 ein Ausgleich im Nationalitätenstreit. Im sogenannten Mährischen Ausgleich wird unter anderem bestimmt, dass ein Großteil der Landtagsmandate über national getrennte Wahllisten vergeben wird, was den Wahlkämpfen die nationale Spitze nimmt.

    In Böhmen scheitert die Verabschiedung eines ähnlichen Gesetzes an der absoluten Mehrheit der tschechischen Parteien im Landtag. Denoch, wenn es nicht zur „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie der US-amerikanische Historiker George F. Kennan den Ersten Weltkrieg nannte, gekommen wäre, hätte das Habsburgerreich seine Nationalitätenprobleme wohl auf vorbildliche und demokratische Art und Weise gelöst.

    Die bisherigen Beiträge dieser Serie können Sie hier lesen: 1 I 2.

    Die Vertreibung von über 14 Millionen Deutschen aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien und dem Sudetenland zählt zu den größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts. In der BRD-Erinnerungskultur findet ihr Leid keine angemessene Würdigung. Darum wollen wir an ihr Schicksal erinnern. Hier mehr erfahren.

    2 Kommentare

    1. Peter vom Berge am

      Nur 22 Nahre nach 1866 wurde Herms Niel geboren, der die unsterbliche ERIKA schuf:

      https://youtu.be/5b-_Qm2iWRU

    2. Waren es nicht doch eher dunkle WolKen ?

      Der Habsburger Joseph II. war so licht nicht. Über den Wert der allgemeinen Schulpflicht kann man streiten. Letztlich stärkte das das Lernen von Lesen und Schreiben , von alten, deaktivierten Unteroffizieren eingeprügelt, nur die Ausbeutbarkeit der Unterschichten.
      Obwohl pro forma katholisch-christlich, beraubte J. die Klöster und schickte die Mönche ins Elend, überhaupt bewunderte er den gottlosen Freimaurer Friedrich II. von Preußen. Mit dem sog. Toleranzedikt tat er den ersten Schritt zum gottlosen Staat.
      Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hieß ja nicht umsonst so, die Tschechen waren darin ein Fremdkörper.